Zensur von Nutzerbeiträgen auf YELP

Ist die Zensur von Nutzerbeiträgen auf dem Bewertungsportal YELP durch die Meinungsfreiheit gedeckt?

Der für Pressesachen und Rechtsstreitigkeiten über Ansprüche aus unerlaubten Handlungen zuständige VI. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat heute sein mit Spannung erwartetes Urteil zur Zulässigkeit der Filterung von Nutzerbeiträgen auf dem Internetbewertungsportal YELP verkündet.

Greyhills hat die Klägerin in drei nahezu identisch gelagerten Fällen gegen YELP vor dem Landgericht München I und vor dem Oberlandesgericht München vertreten. Doch worum geht es hier genau?


Wie funktioniert YELP und der YELP-Filter?

YELP betreibt ein führendes Bewertungsportal im Internet zur Bewertung von lokalen Geschäften. Von Ärzten, Kindergärten, Restaurants bis hin zum Fitnessstudio können Nutzer auf dem Portal YELP ihre positiven und negativen Erfahrungen in Form von Nutzerbeiträgen mitteilen und veröffentlichen. Dabei erhebt YELP als Portalbetreiber den Anspruch, als besonders „nützlich“ befundene Beiträge (Bewertungen) Internetnutzern zu „empfehlen“ und andere Beiträge als „momentan nicht empfohlen“ auszusondern. Die Einstufung als „empfohlen“ oder als „(momentan) nicht empfohlen“ erfolgt tagesaktuell ohne manuelle Nachkontrolle auf der Basis einer vollständig automatisiert arbeitenden Filtersoftware. Die von dem Zensur-Algorithmus angewandten Kriterien betrachtet YELP als Geschäftsgeheimnis und teilt diese nur auszugsweise mit. Bei Aufruf eines Unternehmens in dem Bewertungsportal YELP wird unter Namensnennung des bewerteten Unternehmens dessen YELP-User-Bewertung mit bis zu 5 Sternen angezeigt. Die Bestbewertung von 5 Sternen steht für „Wow! Besser geht‘s nicht“, wohingegen eine 1-Sternebewertung die Aussage „Boah, das geht ja mal gar nicht“ über das bewertete Unternehmen trifft.

Die auf YELP angezeigte Gesamtbewertung über ein Unternehmen in Sternen entspricht jedoch regelmäßig nicht dem rechnerischen Durchschnitt aller auf YELP abgegebenen User-Bewertungen. Vielmehr stellt die von YELP zu einem Unternehmen veröffentlichte Gesamtbewertung immer nur den Durchschnitt der Notenvergabe in Sternen dar, wie sie den Bewertungen in den von YELP „empfohlenen“ Beiträgen entspricht.

 

Bisheriger Prozessverlauf

Die Klägerin, eine Fitnessstudio-Betriebs-GmbH, die von der mehrfachen ehemaligen Bodybuilding-Weltmeisterin Renate Holland geleitet wird, betreibt in der Nähe von München zwei Fitness-Studios. Sie nimmt die Beklagte auf Unterlassung der Ausweisung einer Gesamtbewertung in Anspruch, in welchen Bewertungen, die von YELP-Nutzern abgegeben worden sind und von YELP als „momentan nicht empfohlen“ eingestuft werden, keinen Eingang finden. Daneben begehrt die Klägerin Ersatz vorgerichtlicher Rechtsverfolgungskosten sowie die Feststellung, dass die Beklagte zur Schadenersatzleistung verpflichtet ist.

Urteil des Landgerichts München I vom 12. Februar 2016 – 25 O 24644/14

Das Landgericht München I hat die Klage abgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt, dass der Klägerin kein Anspruch zustehe, dass die von YELP für die Studios der Klägerin ausgewiesenen Gesamtbewertungen aus sämtlichen abgegebenen User-Bewertungen gebildet werden. Infolgedessen habe die Beklagte weder das Unternehmenspersönlichkeitsrecht der Klägerin verletzt noch rechtswidrig in deren eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb eingegriffen.

Urteil des Oberlandesgerichts München vom 13. November 2018 – 18 U 1280/16

Auf die Berufung der Klägerin hat das Oberlandesgericht München YELP verurteilt, es zu unterlassen, im Gebiet der Bundesrepublik auf yelp.de für die Fitness-Studios der Klägerin eine Gesamtbewertung auszuweisen, in die Beiträge (Bewertungen), die von Nutzern der vorgenannten Internetseite abgegeben worden waren und welche die Beklagte als „momentan nicht empfohlen“ wertet, nicht einbezogen werden. Zudem hat das Oberlandesgericht die Verpflichtung von YELP zum Ersatz des der Klägerin entstandenen sowie noch entstehenden Schadens festgestellt. Im Gegensatz zum Landgericht hat das Oberlandesgericht München die Auffassung vertreten, dass die Ausblendung und fehlende Einbeziehung von mehr als 70 YELP-User-Bewertungen zu den beiden Fitness-Studios der Klägerin, die allesamt Top-Bewertungen mit 4 oder 5 Sternen enthielten, die Klägerin in ihrem Unternehmenspersönlichkeitsrecht verletzt und zugleich einen rechtswidrigen Eingriff in deren eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb darstellt. Denn die jeweils auf yelp.de veröffentlichten Gesamtbewertungen der Studios der Klägerin mit nur 2,5 bzw. 3 von 5 Sternen beruhten jeweils auf einer unzutreffenden Tatsachengrundlage. Dies deshalb, weil jeweils mehr als 95 % der abgegebenen Bewertungen durch den Zensur-Algorithmus der Beklagten automatisiert ausgesondert und nicht in die Gesamtbewertung einbezogen wurden. Hierdurch entstehe, so urteilte das Oberlandesgericht, kein „hilfreiches“, sondern vielmehr ein „verzerrtes“ Gesamtbild über das bewertete Unternehmen. Einen nachvollziehbaren Grund dafür, die Studios der Klägerin deutlich schlechter zu bewerten, als dies dem rechnerischen Durchschnitt der abgegebenen Bewertungen von YELP entsprach, hatte YELP aus Sicht des Oberlandesgerichts nicht plausibel dargetan, was im Rahmen der Güterabwägung zu Lasten von YELP ging.

Revisionsverfahren vor dem Bundesgerichtshof, Urteil 14. Januar 2020, VI ZR 495/18 (Internetbewertungsportal)

Nachdem es zuvor divergierende Rechtsprechungen der Oberlandesgerichte zur Zulässigkeit der von YELP eingesetzten Filtertechnik gab, hatte das Oberlandesgericht München die Revision gegen sein klagestattgebendes Urteil aus November 2018 zugelassen.

Auf die Revision von YELP hat der Bundesgerichtshof in Karlsruhe das klageabweisende Urteil des Landgerichts wiederhergestellt. Die angegriffene Bewertungsdarstellung, die sich aus dem Einsatz des Filter-Algorithmus ergibt, greife nicht rechtswidrig in das Unternehmenspersönlichkeitsrecht und in das Recht am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb der Klägerin ein (§ 823 Abs. 1 BGB). Die rechtlich geschützten Interessen der Klägerin würden nicht die schutzwürdigen Belange der Beklagten überwiegen. Die Anzeige des Bewertungsdurchschnitts sei ebenso wie die Einstufung von Nutzerbewertungen als „empfohlen“ oder „nicht empfohlen“ durch die Berufs- sowie Meinungsfreiheit geschützt. Ein Gewerbetreibender müsse die Kritik an seinen unternehmerischen Leistungen und die öffentliche Erörterung geäußerter Kritik grundsätzlich hinnehmen. Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts äußere YELP mit der angegriffenen Bewertungsdarstellung nicht, dass es sich bei dem angezeigten Bewertungsdurchschnitt in Sternen um das Ergebnis der Auswertung aller für das Fitness-Studio abgegebenen Beiträge handele und dass der danebenstehende Text deren Anzahl wiedergebe. Denn der unvoreingenommene und verständige Nutzer des Bewertungsportals würde der Bewertungsdarstellung zunächst nur entnehmen, wie viele Beiträge die Grundlage für die Durchschnittsberechnung bildeten, und schließe daraus weiter, dass Grundlage für die Durchschnittsberechnung ausschließlich der „empfohlene“ Beitrag ist sowie dass sich die Angabe der Anzahl auch nur darauf bezieht. In diesem Sinne habe YELP keine unwahren Tatsachen behauptet oder verbreitet.

 

Rechtsanwalt Dr. Jens H. Steinberg, der die Klägerin im Instanzenrechtszug vor dem Landgericht München I und dem Oberlandesgericht München vertreten hat, bewertet das heute verkündete Urteil des Bundesgerichtshofs vorläufig wie folgt:

Frau Holland und wir sind über den höchstrichterlichen Urteilsspruch aus Karlsruhe enttäuscht. Auf der Basis der in der Pressemitteilung des Bundesgerichtshofs mitgeteilten Gründe erachten wir den Spruch jedoch als juristisch wenig überzeugend. Der Bundesgerichtshof hat die sich ihm gebotene Gelegenheit verpasst, im Interesse von Unternehmen, die ein Anrecht auf eine sachlich korrekte und repräsentative Darstellung und Bewertung ihrer unternehmerischen Leistungen haben, dem massenhaften Einsatz von voll automatisiert arbeitenden Zensur-Filtern auf Bewertungsportalen einen Riegel vorzuschieben. Die Veröffentlichung von Gesamtnoten, die infolge des Einsatzes von Zensurfiltern letztlich nichts mehr mit den repräsentativ abgegebenen Bewertungen von Portal-Usern zu tun haben (bei Ausscheidung von 95 % aller abgegebenen Bewertungen und fehlender Einbeziehung derselben in die Bildung einer Gesamtnote), zeichnet regelmäßig ein verzerrtes und sachlich falsches Bild über die unternehmerischen Leistungen des Bewerteten. Die Veröffentlichung eines solchen Bewertungsdurchschnitts ist auch nicht „hilfreich“ für die Internet-Community, die eine Bewertungsdarstellung und Gesamtnote von einem Algorithmus erhalten, der ohne jede menschliche Nachbearbeitung auskommt.

Das vom Bundesgerichtshof zugunsten von YELP ins Feld geführte Argument, dass Unternehmen die Kritik an ihren unternehmerischen Leistungen im Grundsatz hinnehmen müssten, ist bei Fallgestaltungen wie der vorliegenden wenig überzeugend. In der Sache geht es um das durch Art. 12 i.V.m. Art. 19 Abs. 3 GG geschützte Interesse der Klägerin, dass ihr wirtschaftliches Ansehen nicht durch Bewertungen in geschäftsschädigender Weise herabgesetzt wird, die auf sachfremden Erwägungen beruhen. Der Einsatz eines voll automatisiert arbeitenden Zensur-Algorithmus steht jedoch im klaren Widerspruch zu dem Wesen eines Bewertungsportals. So entnimmt der unvoreingenommene und verständige Nutzer des YELP Bewertungsportals im Streitfall der angegriffenen Bewertungsdarstellung

„speedfitness 2,5 Sterne (2 Beiträge)“

dass das Studio auf der Basis von nur 2 User-Beiträgen mit einer Gesamtnote von 2,5 Sternen bewertet wurde. Eine derartige Bewertungsdarstellung stimmt jedoch mit der Realität nicht überein, wenn es in Wirklichkeit 74 Bewertungen mit 4 oder 5 Sternen gab, die nicht im gleichen Blickfeld dargestellt werden und die nicht in die Bewertung und Gesamtnote einbezogenen wurden. Insoweit leuchtet nicht ein, wie der Bundesgerichtshof zu einer anderen Bewertung des entsprechenden Verkehrsverständnisses gelangen konnte. Internet-User gehen zwar davon aus, dass Bewertungen, die nachweislich gefälscht sind oder verunglimpfende oder rassistische Inhalte aufweisen, „gefiltert“ und ausgesondert werden. Eine Verkehrserwartung dahingehend, dass nach Einsatz eines Filters, der völlig autark und unkontrolliert arbeitet, nur weniger als 5 % der tatsächlich abgegebenen User-Bewertungen (Beiträge) in die zu einem Unternehmen veröffentlichte Gesamtbewertung in Sternen einfließen, dürfte hingegen nicht bestehen. Vielmehr wird der verständige Internetnutzer davon ausgehen, dass eine Gesamtbewertung im Regelfall auf dem Durchschnitt aller abgegebenen Bewertungen beruht und nur nicht auf einem Bruchteil von ihnen. Denn das entspricht dem Wesen eines Bewertungsportals.

Unseres Erachtens ist hier kein Recht von YELP anzuerkennen, massenhaft durch den Einsatz eines Algorithmus automatisiert „Zensur“ zu betreiben, ohne die angewandten Filterkriterien vollständig und nachvollziehbar zu benennen oder zumindest durch eine manuelle menschliche Nachkontrolle zu gewährleisten, dass die Aussonderung und Verschiebung von Beiträgen in den Ordner „momentan nicht empfohlen“ auf belastbaren Anknüpfungspunkten in tatsächlicher Hinsicht beruht. Die für Unternehmen nachteilige Kommunikation von niedrigen Gesamtbewertungen in Sternen, die in Folge des Einsatzes automatisierter Filtertechniken und insoweit auf einer unzutreffenden Tatsachengrundlage beruhen, kann durch die Meinungsfreiheit eines Portalbetreibers nicht gedeckt sein.

Der Bundesgerichtshof ist jedoch in diesem Punkt anderer Auffassung. Eine abschließende Bewertung des wegweisenden Grundsatzurteils vom heutigen Tag kann jedoch erst erfolgen, sobald die Urteilsgründe in Schriftform vorliegen. Für Gewerbetreibende, deren unternehmerische Leistungen infolge eines Filtereinsatzes ohne erkennbaren sachlichen Grund abgewertet werden, ist das heute verkündete Urteil umso schmerzlicher als der Bundesgerichtshof in ständiger Rechtsprechung auch kein Recht des bewerteten Unternehmers anerkennt, sein Profil auf einem Bewertungsportal löschen zu lassen und auch anonyme Portal-Bewertungen für zulässig erachtet.

Frau Holland kommt hier das Verdienst zu, im Interesse von anderen Gewerbetreibenden YELP als Bewertungsportalgiganten Paroli geboten und die Rechte von Gewerbetreibenden trotz des schlussendlich verlorenen Prozesses nachhaltig gestärkt zu haben. YELP hat nämlich im Prozessverlauf jedenfalls insoweit die angegriffenen Bewertungsdarstellungen in seinem Portal in Ansehung der laufenden Gerichtsverfahren abgeändert als dass nunmehr im gleichen Blickfeld zu einer angezeigten Gesamtbewertung die Angabe „empfohlen“ der weiteren Angabe der Zahl der Beiträge hinzugefügt wurde. Internetnutzer können nun eher damit rechnen, dass Beiträge durch YELP gefiltert werden. In welchem Umfange solches geschieht und auf der Grundlage welcher Filterkriterien im Einzelnen bleibt jedoch weiter dunkel.